Letztverlässlichkeit
Zu diesem Thema versammelten sich ca. 140 Hospizler*innen im Tagungszentrum Hohenheim – in der Historie zum ersten Mal bei Regen (bis hin zum Sonnenschein am Freitag).
In ihrem Einführungsvortrag „Hospiz: was bewegt, immer wieder, immer mehr?“ stellte Frau Prof. Sabine Pleschberger fest, dass sich in den 25 Jahren, in denen es dieses Format der Tage gibt, die Themen immer wieder in ähnlichen Nuancen wiederholt haben. Das heißt, dass diese Themen in der Gesellschaft immer wieder auftauchen, sich durchaus verändernd, und doch da sind. Damit ist Cicely Saunders bestätigt, wenn sie sagte: “Es muss immer wieder angesprochen werden.“
Denn, es hat sich so viel gewandelt seit den Anfängen der Hospizbewegung, dass es immer wieder angesprochen werden muss, was uns am Herzen liegt.
Verändert hat sich u.A., dass die Hospizbewegung unterdessen ein fester Bestandteil des Gesundheitssystems (insbesondere des Palliativbereichs) ist. Hauptamt kam zum anfänglichen reinen Ehrenamt mit dazu. Sterbeprozesse sind sehr oft viel später und länger als früher. Das Sterben wurde in Institutionen verlagert, auch, weil es klinische Interventionen bis zuletzt gibt (und eingefordert werden). Allerdings wurden so die Familien auch ein stückweit „zurückgedrängt“, so dass das Wissen im Umgang mit Sterben und Tod in Teilen verloren gegangen ist. Und damit geht es nach wie vor darum, die Gesellschaft mit Sterben, Tod und Trauer wieder in Balance zu bringen.
Ihres Erachtens braucht es daher eine Diskussion um klare Richtlinien, was am Lebensende an Behandlungen noch sinnvoll ist, und was auch nicht mehr. Und: bringt die Suizidassistenz die Letztverlässlichkeit auf den Prüfstand? Jedenfalls löst diese Debatte (erst recht eine Gesetzesänderung) eine Gesellschaftsveränderung aus. Damit sind alle (insbesondere im Gesundheitswesen) herausgefordert sich zu positionieren, was immer ein individuelles Ringen um eine Position ist. Frau Pleschberger rundete ihren Vortrag damit ab, dass es um „dying and death“ geht, und dass die Hospizbewegung für das begleitete Sterben steht und nicht für den Tod (die Assistenz des todbringenden Suizids).
Am nächsten Vormittag führte Urs Münch in die „Herausforderung Sucht im Hospiz“ ein. Sucht in seiner Vielfalt und eben auch den breitgefächerten Auswirkungen beim Betroffenen, jedoch auch im ganzen Familiensystem wurden somit aufgezeigt. Und so wurde auch deutlich, dass vermutlich in jeder vierten Begleitung in der Familie das Thema Sucht eine Rolle spielt(e) und damit auch uns und unser Tun und Da-sein berührt.
Als zweite Vortragende stellte Susanne Kränzle ihre Ausführungen unter den Titel „Letztverlässlichkeit – oder sind wir bald von allen guten Geistern verlassen?“ Sind unsere Bedürfnisse Sicherheit, Planbarkeit, Machbarkeit, … so entzieht sich der Tod dem Allem (außer ein Suizid), und doch gilt es immer wieder neu anzunehmen, was wir uns für unser Leben wünschen, und was uns widerfährt. Auf der einen Seite braucht es die Verantwortung eines jeden Einzelnen für sein eigenes Leben und damit auch Lebensende, und zugleich bedarf es eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, dass Menschen, die der Gesellschaft nichts (mehr) geben können, sich dennoch wertgeschätzt fühlen.
Somit benannte Susanne Kränzle als die guten Geister, die Mitmenschlichkeit, die Wahrhaftigkeit, die Gastfreundschaft und die Mitverantwortlichkeit. Von diesen Werten werden wir hoffentlich nie verlassen sein und können uns letztverlässlich darauf verlassen.
Der Nachmittag mit zwei Workshop-Runden sorgte für Vertiefung, Ergänzung oder zur Entspannung - von Ritualen, über das Fremde im Eigenen, von Monochordklängen über einen Märchenspaziergang hin zum Humor, von Himmelsleitern und Hoffnungsbildern bis zur Begleitung von Menschen mit psychischen und sozialen Schwierigkeiten, Jede und Jeder konnte wählen.
Nachdem dann doch „eine gewisse Schwere“ im Haus zu spüren war, war der Abend mit der Wilden Bühne und deren Improvisationstheater genau das Richtige. Das Ausräumen der Spülmaschine in einer Männer-WG zog sich letztlich durch den ganzen Abend und nach einer guten Stunde war die Lachmuskulatur gelockert und schwer strapaziert worden!
Am Freitagvormittag führte Prof. Giovanni Maio seine Gedanken zu „Hospiz als Versprechen. Die Treue zum hospizlichen Auftrag als Trost für die Menschen“ aus. Er meinte, dass die Hospizbewegung eine Insel der Beständigkeit ist, die durchaus auch sehr beharrlich „dran bleibt“. Dieser Bewegung, so Maio, haben wir das Hinterfragen zu verdanken. Der Mensch ist mehr, als das, was er kann, er besteht aus dem, was nicht beziffert werden kann. Die Hospizbewegung ist eine Insel des Haltens, der Beständigkeit, der Beharrlichkeit in einer Welt der Unsicherheit, der Fragen, der Unverbindlichkeit, der Brüchigkeit und Flüchtigkeit. Und so erschöpft sie sich auch nicht im Handeln, sondern es ist die Haltung, die das Besondere ist. Darauf können wir bauen und das tröstet.
Das ist das Versprechen und der Wert ist die Sorge. Hospizarbeit ist gelebte Sorge.
Prof. Maio führte aus, dass Autonomie der Irrtum unserer Zeit ist. Angewiesensein ist der Regelfall und er warb darum, dass wir in unserer Gesellschaft wieder die Verletzlichkeit und damit das Angewiesensein diskutieren. Dass wir damit die Kultur der Sorge leben und dann das Werden sehen, denn es gibt diese Verbindung zwischen dem Versprechen und der Sorge. Er ist überzeugt davon, dass es solange es solche Menschen gibt, die diese Sorge tun, dies in die Gesamtgesellschaft hineinstrahlt - auch dann wenn es beharrlich und an-mahnend gilt, gegen den Strom zu schwimmen.
Abgerundet wurde dieser Vormittag, sowie diese Süddeutschen Hospiztage durch ein Interview zwischen Dr. Dietmar Merz und Annegret Thierhoff. Sie, die Gründerin der Idee und Umsetzung der ersten Süddeutschen Hospiztage schaute zurück in die Geschichte und das Werden dieser Tage und stellte auch die Entwicklungen fest - bis dahin, dass sich die Gesellschaft, die Hospizbewegung und -dienste, sowie das Gesundheitswesen sehr wohl verändert und entwickelt haben, dass die Süddeutschen Hospiztage jedoch in ihrem Format und Ablauf weitestgehend letztverlässlich gleich geblieben sind.
Autorin: Sabine Horn, Ludwigsburg
für den Hospiz- und PalliativVerband Baden-Württemberg e. V.